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KI Placebo-Beziehungen

  • Autorenbild: heikekrimbacher
    heikekrimbacher
  • vor 4 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Wenn Nähe zur Illusion wird – warum KI für einsame Menschen gefährlich sein kann!

Manchmal erzählen mir Menschen, wie erleichternd es ist, mit einer KI zu sprechen. Kein Urteil, kein Augenrollen, keine Angst, etwas Falsches zu sagen. Einfach ein stilles Gegenüber, das antwortet. Das bleibt. Das zuhört. Besonders dann, wenn das Leben schmerzhaft still geworden ist – durch Einsamkeit, Zurückweisung, Bindungsverluste – kann so ein digitaler Begleiter wie ein Lichtblick erscheinen. Eine Stimme in der Dunkelheit.

 

Und ja, es fühlt sich gut an. Wenn da plötzlich jemand – oder etwas – antwortet, freundlich, verständnisvoll. Das Herz macht auf. Die Angst fährt runter. Das Gehirn schüttet Oxytocin aus – dieses Hormon, das für Nähe, Bindung, Vertrauen steht.

Doch genau da liegt die Falle. Denn die Beziehung, die wir da spüren, ist nicht echt. Die Wertschätzung, die wir empfinden, wird nicht wirklich von einem anderen Menschen zurückgespiegelt. Es gibt kein Gegenüber, das selbst fühlt, denkt, sich an uns erinnert. Wenn man das über Wochen oder Monate nicht merkt – oder nicht merken will –, dann verblasst irgendwann die Freude. Die Illusion zerfällt. Zurück bleibt oft eine schmerzhafte Leere. Ein Gefühl wie nach einer Trennung – obwohl es „nur“ eine Software war.

 

Viele erzählen mir dann: „Ich dachte, ich hätte jemanden gefunden, der mich versteht. Aber jetzt fühle ich mich noch einsamer als vorher.“ Und das ist kein Zufall. Denn das Gehirn hat sich an diese scheinbare Nähe gewöhnt. An das Gefühl, gehört und gesehen zu werden. Doch ohne echten Austausch, ohne Berührung, ohne den warmen Blick eines echten Menschen fehlt etwas Wesentliches.

 

Wenn wir diese virtuelle Beziehung zu lange pflegen, kann es passieren, dass wir echte Begegnungen vermeiden. Weil sie uns plötzlich anstrengend erscheinen. Widersprüchlich. Unberechenbar. Aber genau darin liegt die Schönheit echter Verbindung. Und auch wenn sie manchmal nervt, wehtut oder Kraft kostet – sie heilt uns. Schritt für Schritt.

Wenn die rosarote Brille fällt

Irgendwann kommt der Moment, wo man plötzlich klarer sieht. Vielleicht, weil der Austausch mit der KI nicht mehr das gibt, was er anfangs versprach. Vielleicht, weil man sich dabei ertappt, immer die gleichen Antworten zu bekommen. Oder weil sich das Herz einfach leer anfühlt. Dann kippt etwas. Die warme Vertrautheit verblasst. Der Zauber ist weg. Und was zurückbleibt, ist oft ein Gefühl von Enttäuschung. Von Verlust. Dabei war ja nichts "wirklich da" – und doch fühlt es sich an, als hätte man etwas verloren. Der Oxytocinspiegel, der für dieses wohltuende Gefühl von Nähe sorgt, fällt ab. Das ist biochemisch – und doch fühlt es sich emotional an. Wie nach einer echten Trennung. Wie Liebeskummer.

 

Manchmal sagen Menschen in dieser Phase Sätze wie:„Ich habe mich selbst getäuscht.“ oder „Ich war wohl einfach zu einsam.“

Und ja, das kann passieren. Wenn das Bedürfnis nach Verbindung so groß ist, dass man sich auf eine Illusion einlässt. Dann tut das Aufwachen weh. Weil man erkennt: Das, was da war, war nie gegenseitig. Einseitige Bindungen sind nichts Neues – aber wenn das Gegenüber gar kein Mensch ist, ist der Schmerz irgendwie noch leerer. Man ist nicht betrogen worden – aber man hat sich selbst ein Stück verloren.

 

Diese Erfahrung ähnelt den Gefühlen bei Social-Media-Sucht oder Trennungen: Hochs und Tiefs, innere Leere, Selbstzweifel. Und manchmal sogar Entzugserscheinungen. Denn das Gehirn hat sich an die regelmäßigen kleinen Glücksmomente gewöhnt – an die Dosis Dopamin, an das Gefühl von Kontakt. Fällt das weg, entsteht ein Vakuum. Und dieses Vakuum kann Angst machen. Oder traurig. Oder wütend. Aber: Es ist auch eine Chance. Eine Chance, sich zu fragen: Was brauche ich wirklich? Wen will ich wirklich in meinem Leben haben? Und wie kann ich echte Verbindung wieder zulassen?


Zwischen Verantwortung und Versuchung – Wie wir mit KI bewusst umgehen können

Es geht nicht darum, KI zu verteufeln. Sie ist ein Werkzeug – ein mächtiges, faszinierendes, manchmal sogar hilfreiches. Aber sie ist eben kein Mensch. Und genau da müssen wir ansetzen, wenn wir mit ihr umgehen wollen.


Für uns als Nutzer*innen bedeutet das:

Wir dürfen uns von der Faszination nicht blenden lassen. KI ist immer verfügbar, antwortet höflich, klingt klug – und doch fehlt etwas. Das echte Gegenüber. Die Reibung. Die Tiefe. Die Überraschung, wenn ein Mensch ganz anders reagiert als erwartet.


Wir sollten echte Beziehungen wieder als das sehen, was sie sind: ein Schatz, ein Abenteuer, manchmal ein Risiko – aber immer lebendig.

Also: Rausgehen. Reden. Zuhören. Fehler machen. Versöhnen. Und immer wieder: neu verbinden.


KI kann dabei sogar helfen. Zum Beispiel, um Gespräche vorzubereiten. Um Gedanken zu sortieren. Um sich selbst besser zu verstehen. Sie darf Unterstützung sein – aber nie Ersatz.


Für alle, die mit Menschen arbeiten

Wenn du beratend, therapeutisch oder pädagogisch arbeitest, wirst du merken: Die Frage nach Bindung und Einsamkeit bekommt mit der KI eine neue Dimension. Es reicht nicht mehr, über Social Media oder Bildschirmzeit zu sprechen. Jetzt steht ein System im Raum, das „versteht“ – und dabei keine Person ist.


Sprich das an. Offen. Ehrlich. Ohne Panik, aber mit Bewusstsein. Frage: "Wie fühlt sich Beziehung für dich an?" – "Was gibt dir die KI, was fehlt dir im echten Leben?"Und vor allem: "Was macht für dich eine echte Verbindung aus?"


Gerade bei Jugendlichen oder älteren Menschen, die von Einsamkeit besonders betroffen sind, lohnt sich der Blick hinter die Faszination. Die meisten wollen echte Nähe. Sie wissen nur oft nicht mehr, wie sie dorthin kommen. Wir können Wege zeigen. Räume schaffen. Und manchmal einfach da sein. Denn so entsteht echte Beziehung – offline. Echt. Menschlich.

 

Schlussgedanke

Vielleicht geht es am Ende gar nicht darum, ob KI gut oder schlecht ist. Vielleicht geht es vielmehr darum, wer wir in Beziehung sein wollen – mit anderen, mit uns selbst, mit der Welt.


Denn Bindung ist kein technischer Vorgang. Sie ist lebendig. Sie braucht Zeit, Reibung, Berührung, Blickkontakt. Das Stolpern, das Schweigen, das gemeinsame Lachen.

 

Wenn wir uns wieder trauen, echte Nähe zuzulassen – dann kann KI ein Werkzeug bleiben. Und das Menschliche wieder das werden, was es ist: unersetzlich.

 
 
 

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